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Hüter:innen der Antibiotika

Krankenhausapotheker:innen leisten viel, um die Wirksamkeit dieser wichtigen Arzneimittel zu erhalten

Antibiotika zählen zu den bedeutsamsten Entdeckungen des 20. Jahrhunderts und haben das Leben von Milliarden von Menschen verbessert. Zuvor konnten selbst Bagatellverletzungen, die sich entzündeten, zum Tod führen. Doch die Wirksamkeit von Antibiotika in der Vergangenheit und Gegenwart ist leider keine Garantie für die Zukunft, denn es gibt einen ständigen Wettlauf mit den Erregern, die zunehmend Resistenzen gegen bestimmte Antibiotika-Arten bilden. Damit Antibiotika eine scharfe Waffe gegen bakterielle Erkrankungen bleiben, müssen sie rational und verantwortungsvoll eingesetzt werden. Im Spitalsbereich, wo besonders viele Antibiotika benötigt werden, leisten Krankenhausapotheker:innen hierzu täglich einen wichtigen Beitrag.

Am 28. September 1928 machte Alexander Fleming eine Entdeckung, die zu den wichtigsten Ereignissen in der Geschichte der Pharmazie und der Medizin zählt. Der britische Bakteriologe beobachtete, wie Schimmelpilze der Gattung Penicillium, die zufällig in eine seiner Staphylokokken-Kulturen hineingeraten waren, eine wachstumshemmende Wirkung auf diese krankheitserregenden Bakterien ausübten. Aufbauend auf diesem Zufallsfund sollte es möglich werden, Entzündungen, infizierte Wunden und viele weitere bakteriell verursachte Erkrankungen wirksam behandeln zu können. Flemings bahnbrechende Entdeckung fand zunächst allerdings nur wenig Beachtung. Erst 1939 begannen Chemiker in Oxford damit, Penicillin-G als Wirkstoff zu isolieren.  Am 12. Februar 1941 wurde der erste Patient weltweit damit behandelt. Und in den Jahren darauf begann der massenhafte Einsatz der neuen Medikamentenklasse – mit großem Erfolg, aber auch mit den ersten leichten Warnzeichen.

Erste Resistenzen bereits ein Jahr nach der Einführung

„Die ersten Resistenzen von Staphylokokken gegen Penicillin-G wurden bereits Mitte der 1940er Jahre beobachtet“, berichtet Mag. Dr. Ulla Porsche. Die Krankenhausapothekerin gilt als eine der führenden Expertinnen auf dem Gebiet der Antibiotika in Österreich, leitet die Abteilung für klinische Pharmazie und Arzneimittelinformation der Landesapotheke Salzburg und ist eine Mitverfasserin der in Österreich und Deutschland maßgebenden S3-Leitlinie „Strategien zur Sicherung rationaler Antibiotika-Anwendung im Krankenhaus“. An den Salzburger Landeskliniken (SALK) hat sie gemeinsam mit Ärzten bereits in den 1990er Jahren begonnen, Strategien zur Vorbeugung von Antibiotika-Resistenzen im intramuralen Raum umzusetzen.

 

An den Salzburger Landeskliniken erarbeitet ein interdisziplinärer infektiologischer Arbeitskreis bestehend aus Apotheker:innen und Ärtz:innen die Strategien für den hausinternen Antibiotika-Einsatz. (Bild: ©IAK SALK 2023)

„Bereits zu dieser Zeit gab es immer wieder Literatur vornehmlich aus den USA, die einen Wirkungsverlust von Antibiotika durch Resistenzentwicklung thematisierte. Wir haben uns dann in einem kleinen Team aus Ärzten und Apothekern überlegt, was wir hierzulande gegen diese Entwicklung tun können. Im Prinzip haben wir schon damals das gemacht, was man heute unter dem Begriff ´Antibiotic Stewardship´ zusammenfasst“, erinnert sich Dr. Porsche. Unter „Antibiotic Stewardship“ versteht man den rationalen und verantwortungsvollen Einsatz von Antibiotika – durch den Nachweis einer bakteriellen Infektion, die Wahl des geeigneten Antibiotikums, Anpassung der Therapiedauer, Dosierung und Form der Antibiotika-Gabe. Das Ziel ist, die Patient:innen bestmöglich zu behandeln und gleichzeitig zu verhindern, dass Selektionsprozesse und Resistenzen bei den Bakterien auftreten.

Schemata und Ampel-System für Antibiotika-Anwendung

Am Beispiel der Salzburger Landeskliniken bedeutet das konkret, dass Dr. Porsche und ihre Kolleg:innen die „Leitplanken“ der Antibiotika-Therapie festsetzen. So wurden von ihnen beispielsweise Schemata entwickelt, welche die empirisch fundierte Erstlinientherapie – also die bevorzugte, erste Behandlungsoption einer Erkrankung – bei bakteriellen Infektionen mit Antibiotika beschreiben. Es gibt Schemata, die im gesamten Krankenhaus quasi als Hausleitlinie gültig sind (z. B. die Behandlung von Pneumonien) und zusätzlich ein spezifisches Schema für jede einzelne Klinik bzw. Abteilung. Zudem haben Dr. Porsche und der inzwischen aus zwölf Expert:innen bestehender infektiologischer Arbeitskreis ein Ampel-System für den hausinternen Antibiotika-Einsatz entwickelt. „Grüne“ Antibiotika darf jede Station in der Krankenhausapotheke anfordern und an die Patient:innen abgeben, „gelbe“ dürfen nur in Ausnahmefällen stationsweise bestellt werden und „rote“ dürfen ausschließlich patientenbezogen (Name plus Indikation) – also in patientenindividuellen Mengen – angefordert werden. Die Apotheker:innen der Krankenhausapotheke prüfen die eingehenden Anforderungen auf Plausibilität und geben bei Bedarf Empfehlungen (z.B. Anpassung der Dosierung).

Mag. pharm. Dr. Ulla Porsche, Krankenhausapothekerin und organisatorische Koordinatorin des Infektiologischen Arbeitskreises (IAK), bespricht mit dem Infektiologen und Leiter des IAK OA. Dr. Arno Lechner und weiteren Expert:innen die patientenindividuellen Antibiotika-Therapien an den SALK. (Bild: ©IAK SALK 2023)

Antibiotika-Einsatz möglichst schmal, hochdosiert und zielgerichtet

Von größter Bedeutung ist die richtige Anwendung der Antibiotika – sowohl in Hinblick auf den Therapieerfolg als auch für die Vermeidung von Resistenzbildungen. „Der Einsatz von Antibiotika sollte möglichst schmal, hochdosiert und zielgerichtet sein. Man muss es schaffen, am Infektionsort eine Konzentration zu erreichen, die über der minimalen Hemmkonzentration liegt, damit der Keim absterben kann“, erklärt Dr. Porsche. Das ist keine triviale Aufgabe, da die Antibiotika-Konzentration im klinischen Alltag im Serum gemessen werden kann und man anhand dieses Wertes die Konzentration im Gewebe, wo das Antibiotika wirken soll, abschätzen muss. Die Therapiedauer mit Antibiotika werde immer kürzer, auch um die Nebenwirkungen (z.B. auf die Darmflora) so gering wie möglich zu halten, so Dr. Porsche. Inzwischen sei es üblich, dass ein junger Patient mit ambulant erworbener Pneumonie, der ansonsten gesund ist und keine Risikofaktoren aufweist, nur noch drei bis fünf Tage mit Antibiotika behandelt werden muss.

Schwierige Datenlage als Herausforderung

Schwierig ist es mitunter, an belastbare Daten zu Antibiotika-Resistenzen und zum Antibiotika-Verbrauch in Österreich und Europa zu gelangen. „Erfolgreich mit Antibiotika Behandelte scheinen in der Statistik nicht auf, was beispielsweise bei Harnwegsinfekten zu Verzerrungen zugunsten von Resistenz-Fällen führt, da hier vornehmlich Rezidivfälle bzw. Therapieversager getestet werden. Darum ist eine zuverlässige Ermittlung von Resistenzraten nur durch Testungen möglich. Es wird aber nicht genug getestet und auch nicht überall“, bemängelt Dr. Porsche. Antibiotikaresistenz und Verbrauch antimikrobieller Substanzen in Österreich werden im AURES-Bericht zusammengefasst, der jährlich vom Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz publiziert wird.

Bei den Verbrauchsdaten gibt es das bemerkenswerte Problem, dass im Bereich der Humangesundheit – im Gegensatz zum Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung – der nationale und europäische Verbrauch von Antibiotika noch immer nicht lückenlos überwacht und berichtet wird. Die Daten sind daher in aller Regel unvollständig.  „In der Tierhaltung ist die ´Awareness´ inzwischen sehr groß und der Einsatz von Antibiotika in diesem Bereich unterliegt der EU-Gesetzgebung. Für den Humanbereich gibt es von der EU jedoch nur Empfehlungen, und jedes Mitgliedsland kann weitgehend selbst entscheiden, ab wann es welche nationalen Daten erhebt und berichtet“, erklärt Dr. Porsche.

Wenig Gewinnmöglichkeiten, wenig Forschung, kaum Innovationen

Ein weiteres großes Problem im Bereich der Antibiotika ist das Fehlen neuer innovativer Medikamente und Wirkmechanismen. In der jüngeren Vergangenheit wurde lediglich versucht durch Kombination von bereits bestehenden Antibiotika-Klassen neue Mittel gegen multiresistente Erreger zu finden. Aus Sicht von Dr. Porsche hat die mangelnde Forschung vor allem wirtschaftliche Gründe. „Für die Hersteller ist die Entwicklung neuer Antibiotika im Vergleich zu anderen Medikamenten finanziell wenig attraktiv. Sie wissen, dass ein neues, gut wirksames Antibiotikum sofort als Reserveantibiotikum zur Bekämpfung besonders resistenter Erreger zurückgehalten werden würde und es darum kurzfristig keinen breiten Markt dafür geben wird“, berichtet die Krankenhausapothekerin.

Pekuniäre Aspekte vermutet Dr. Porsche auch hinter den derzeitigen Antibiotika-Knappheiten. „In den letzten 20 Jahren wurde die Produktion und Lagerung von Antibiotika nahezu komplett ausgelagert, vor allem nach Indien und China. Der Markt wurde vollständig globalisiert, und die Hersteller verkaufen bevorzugt dorthin, wo die Preise am höchsten sind. Österreich ist bei Arzneimitteln ein Niedrigpreisland und für die Hersteller entsprechend weniger attraktiv – gerade bei ohnehin recht preisgünstigen Medikamenten wie Antibiotika“, berichtet Dr. Porsche. Aus ihrer Sicht bedarf es unter anderem fairer Preise für Antibiotika und der Schaffung von Lagerkapazitäten in Österreich und der EU, um die Versorgungssituation zu verbessern. Der (erneute) Aufbau von Produktionskapazitäten in Europa sei aufgrund der Komplexität kurzfristig keine Lösung, sondern ein Projekt, das viele Jahre in Anspruch nehmen wird.

Mehr interdisziplinäre Zusammenarbeit statt Pessimismus

Trotz der vielen Herausforderungen im Bereich der Antibiotika sieht die erfahrene Krankenhausapothekerin aber für die Zukunft nicht schwarz, sondern in den Herausforderungen auch eine Chance zur weiteren Verbesserung der interdisziplinären Zusammenarbeit, wie sie an den Salzburger Landeskliniken bereits Standard ist. „In jedem Team, das sich mit dem rationalen Einsatz von Antibiotika im Spitalsbereich befasst, sollte nach Vorgaben der gültigen Leitlinien zumindest ein Arzt und ein Apotheker vertreten sein. Wir Pharmazeuten können die Angehörigen anderer Gesundheitsberufe insbesondere mit unserem Wissen zu Verbrauchsdaten und zu pharmakologischen Fragestellungen wie etwa Probleme der Pharmakokinetik oder Fragen zur Dosierung gut unterstützen und wertvolle Informationen zu den Entscheidungsprozessen beisteuern“, betont Dr. Porsche. Perspektivisch sieht sie dieses Modell auch für den niedergelassenen Bereich als sinnvolle Möglichkeit, die Antibiotika-Therapie weiter zu optimieren: „Wieso sollte nicht auch auf regionaler Ebene ein fachlicher Austausch zwischen niedergelassenem Arzt und Apotheker via elektronischem Arzneimittelkonsil stattfinden, um die bestmögliche Behandlungsoption für jeden Patienten zu unterstützen und damit Resistenzen vorzubeugen?“

Resistenz-Prävention auch in den öffentlichen Apotheken

Generell ist der rationale Einsatz von Antibiotika, um Resistenzen vorzubeugen, ein Thema, mit dem auch Apotheker:innen in den öffentlichen Apotheken täglich zu tun haben. Durch Aufklärungsarbeit leisten sie hierzu einen wichtigen Beitrag. Denn in den öffentlichen Apotheken werden täglich Hunderttausende Menschen in pharmazeutischen Fragen beraten. Bei Antibiotika ist es besonders wichtig, die Menschen für die richtige Einnahme zu sensibilisieren. Dazu zählen u.a. die exakte Einhaltung der vorgeschriebenen Dosierung, Einnahme-Tageszeit und Einnahmedauer (auch wenn die Beschwerden schon früher abzuklingen scheinen). Außerdem weisen die Apotheker:innen im Zuge der Beratung auf mögliche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten (z.B. mit bestimmten Blutverdünnern möglich und Mitteln gegen Sodbrennen) und Lebensmittel, die die Wirkung mancher Antibiotika beeinträchtigen können (z.B. Milchprodukte), hin. Antibiotische Medikamentenreste dürfen auch nicht zu Hause über den Ausguss oder die Toilette entsorgt werden, da das zur Resistenzbildung beitragen kann.