Es ist ein leidiges Thema: Lieferschwierigkeiten bei Arzneimitteln. Für Patient:innen ist es ärgerlich und verunsichernd, wenn vom Arzt verordnete Medikamente in der Apotheke nicht verfügbar sind. Dass es trotz massiver Engpässe bei Medikamenten noch nicht zu einem Versorgungschaos gekommen ist, liegt in erster Linie an dem unermüdlichen Einsatz der Apothekerschaft. Jeden Tag geben sich die Apotheker:innen viel Mühe, um gleichwertige Alternativen für aktuell nicht lieferbare Medikamente zu finden und niemanden unversorgt zu lassen.
Keine schnelle Lösung für Medikamentenknappheit in Sicht
Für den heurigen Herbst und Winter sind die Prognosen zur Liefersituation leider auch nicht gut und eine Entspannung ist vorerst nicht in Sicht. So dauern beispielsweise die Antibiotika-Engpässe weiterhin an, speziell bei Antibiotika für Kinder. Auch bei antiviralen Medikamenten könnte es zu einer erhöhten Nachfrage und Knappheiten kommen. Die schwere Grippewelle in Australien lässt vermuten, dass Österreich in den kommenden Monaten ebenfalls mit hohen Infektionszahlen zu kämpfen haben wird.
Arzneimittelproduktion inzwischen fast nur noch in Asien
Die anhaltende Liefermisere in Europa hat mehrere Ursachen. Ein Hauptgrund ist die im Zuge der Globalisierung ausgelagerte Produktion: Arzneimittelwirkstoffe, Hilfsstoffe und Verpackungsmaterialien werden aus Kostengründen fast nur noch in asiatischen Niedriglohnländern wie China und Indien hergestellt, wo niedrigere Sozial- und Umweltstandards gelten. Oft wird ein Wirkstoff auch nur noch an einem oder zwei Standorten weltweit produziert. Ein Produktionsausfall an diesem Standort – beispielsweise aufgrund eines nicht verfügbaren Rohstoffes oder Verpackungsbestandteils, einer Chargenverunreinigung, eines „Lockdowns“ (davon war z.B. der größte Containerhafen der Welt in Shanghai monatelang betroffen) oder einer technischen Störung – kann schnell zu weltweiten Lieferschwierigkeiten führen. Dasselbe gilt für die Lagerung, die zunehmend an wenigen Standorten der Hersteller im Ausland und nicht mehr in Österreich (oder anderen EU-Ländern) erfolgt. Und eine Rolle spielen auch die vergleichsweise niedrigen Arzneimittelpreise, die den österreichischen Markt für Hersteller teilweise unattraktiv machen. Eine Folge: Andere Länder mit höherem Preisniveau wie Deutschland oder die Schweiz werden bei der Belieferung mit Arzneimitteln priorisiert.
Die gute Nachricht: Die Apotheker:innen betreiben großen Aufwand, um bestehende Lieferengpässe so weit wie möglich abzufedern. Tagtäglich wird in den Apotheken nach individuellen Lösungen gesucht, um für jede/n betroffene/n Patient:in eine gleichwertige Alternative zu finden. Die Apotheker:innen haben dabei verschiedene Möglichkeiten: Im Idealfall steht ein wirkstoffgleiches Medikament (Generikum) zur Verfügung, auf das man ausweichen kann. Eine weitere Möglichkeit ist, das Arzneimittel in einer anderen Apotheke oder im Ausland zu beschaffen. Sehr aufwendig und mitunter nicht einmal kostendeckend ist die patientenindividuelle Zubereitung (magistrale Rezeptur) im apothekeneigenen Labor. In den meisten Fällen gelingt es den Apotheker:innen, vor Ort in der Apotheke eine Lösung für das Anliegen der/des Patient:in bzw. Kund:in zu finden. In den übrigen Fällen wird gemeinsam mit dem behandelnden Arzt, der behandelnden Ärztin weiter nach einer Lösung gesucht.
Rund
15,00 Stunden
pro Woche investiert jede Apotheke im Schnitt zusätzlich, damit aus Lieferengpässen keine Versorgungsengpässe werden.
Für die Apotheken sind die Lieferengpässe übrigens ähnlich ärgerlich wie für die Patient:innen und Kund:innen, denn sie bedeuten einen erheblichen Mehraufwand. Rund 15 Stunden pro Woche investiert eine Apotheke derzeit, um sicherzustellen, dass aus Lieferengpässen keine Versorgungsengpässe werden. Apotheker:innen werden auch oftmals mit der Verunsicherung und Enttäuschung von Patient:innen, deren Medikament aktuell nicht verfügbar ist, konfrontiert, obwohl sie an den Lieferschwierigkeiten selbst keine Schuld tragen. Apotheken sind das letzte Glied in einer langen Kette, bevor die Bevölkerung versorgt wird. Auf die Produktion, Lagerung, Distribution und Lieferung der Medikamente haben Apotheker:innen leider keinen Einfluss.
2.300,00
Medikamente werden in jeder Apotheke im Schnitt pro Jahr selbst angefertigt. Das trägt wesentlich zur Abfederung von Lieferengpässen bei.
Arzneimittelproduktion muss zurück nach Europa
Eine nachhaltige Lösung für das Problem der Lieferengpässe ist nur auf europäischer Ebene sinnvoll, da das Problem alle EU-Länder gleichermaßen betrifft. Diese Lösung sollte auf jeden Fall Folgendes beinhalten: Produktion und Lagerung von Arzneimitteln und Hilfsstoffen müssen (wieder) vermehrt in Europa stattfinden, um die Abhängigkeiten in der Arzneimittelproduktion vom asiatischen Raum zu minimieren und die Produktion flexibler auf den Bedarf hierzulande anpassen zu können – gerade bei so wichtigen Medikamenten wie Antibiotika. Allerdings nimmt der Aufbau von entsprechenden Produktionsstandorten und -kapazitäten Jahre in Anspruch und benötigt einen klaren politischen Willen.
Bis dahin braucht es kurzfristige Lösungen. Schon im März hat die Österreichische Apothekerkammer der Regierung darum ein dreiteiliges Lösungspaket präsentiert, ein wichtiger Punkt dabei: die Schaffung von nationalen Rohstofflagern. Dadurch könnten Apotheker:innen einige besonders dringend benötigte Arzneimittel bei Bedarf selbst herstellen (z.B. Antibiotika-Säfte für Kinder) und den jeweiligen Lieferengpass bei Fertigarzneimitteln für eine gewisse Zeit abfedern. Die magistrale Herstellung von Medikamenten zählt zu den Kernkompetenzen des Berufststandes. Damit wäre ein wichtiger Schritt zur Milderung der Arzneimittel-Lieferengpässe getan.