Haben Sie schon einmal von Akrozephalosyndaktylie gehört? Von Hypopituitarismus? Oder vom Dup15q-Syndrom? Dies sind nur drei Beispiele aus der Gruppe der Seltenen Erkrankungen, die derzeit rund 8.000 verschiedene Erkrankungen umfasst. Jede dieser Seltenen Erkrankungen betrifft nur vergleichsweise wenige Menschen, doch zusammengezählt sind sie alles andere als selten. In Österreich leiden Schätzungen zufolge rund 500.000 Menschen an einer Seltenen Krankheit. Am Tag der Seltenen Erkrankungen (29. Februar) sollen diese oft vernachlässigten Erkrankungen in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken.
In der Europäischen Union gilt eine Erkrankung definitionsgemäß als selten, wenn nicht mehr als 5 von 10.000 Menschen von ihr betroffen sind. In der Regel sind Seltene Erkrankungen komplexe, schwerwiegende und chronisch verlaufende Krankheiten, die oft schon im Kindesalter auftreten. Einen Großteil machen Immundefekte, neurologische Defekte und endokrinologische Defekte aus. Rund drei Viertel der Seltenen Erkrankungen sind genetisch bedingt. Aufgrund der Schwere vieler dieser Erkrankungen sind Lebensqualität und/oder Lebenserwartung häufig eingeschränkt. Auch dauerhafte Invalidität ist keine Seltenheit.
Für die Betroffenen gestaltet sich bereits der Diagnoseweg meist schwierig und langwierig. In der Regel dauert es mehrere Jahre bis die richtige Diagnose gestellt wird, denn aufgrund der Seltenheit der Erkrankungen kommen auch die meisten Ärzte, Ärztinnen nur sehr selten mit diesen Krankheitsbildern in Kontakt und können sie trotz guten Willens kaum auf Anhieb richtig einordnen. Viele Seltenen Erkrankungen sind auch noch wenig erforscht und es mangelt dementsprechend an Spezialist:innen, die sich intensiver mit einer bestimmten Seltenen Krankheit auseinandersetzen und eine exakte Diagnose treffen können. Seltene Erkrankungen werden daher auch als „Waisenkinder der Medizin“ bzw. als Waisenkinder-Erkrankungen („Orphan Diseases“) bezeichnet. Zu den Beschwerden durch die Krankheit kommen bei vielen Betroffenen psychische Belastungen durch den Diagnose-Marathon, fehlende Unterstützung und das Unverständnis, das ihnen teilweise entgegengebracht wird, hin.
Die Behandlung Seltener Erkrankungen ist ebenfalls eine große Herausforderung, denn es wird aufgrund der geringen Zahl der Betroffenen je Krankheit vergleichsweise wenig Forschung zu konkreten Therapiemöglichkeiten durchgeführt. Auch an speziellen Medikamenten („Orphan Drugs“) für Krankheiten aus dieser heterogenen Gruppe mangelt es, denn pharmazeutische Forschung und Entwicklung sind aufwendig und der potentielle Markt, auf dem die Hersteller die entwickelten Medikamente absetzen könnten, ist winzig. Viele Seltene Erkrankungen können darum noch nicht ursächlich behandelt werden und Medikamente werden von den behandelnden Ärzt:innen häufig im „Off-Label Use“ verordnet, d.h. das ein Fertigarzneimittel außerhalb des durch die Arzneimittelbehörden zugelassenen Gebrauchs eingesetzt wird. Falls ein Wirkstoff zur Behandlung einer bestimmten Seltenen Krankheit bekannt ist, es jedoch kein entsprechendes Fertigarzneimittel gibt, können manche Medikamente auch magistral durch (Krankenhaus-)Apotheker:innen hergestellt werden, um die Patientin, den Patienten zu versorgen.
Um die pharmazeutische Industrie trotz der unvorteilhaften Marktbedingungen zu verstärkter Forschung und Entwicklung im Bereich der Seltenen Krankheiten zu motivieren, wurde auf europäischer Ebene eine regulatorisches Anreizsystem geschaffen. Wird einem Pharmahersteller der Orphan-Drug-Status für ein Präparat erteilt, bedeutet dies für das Unternehmen zehnjährige Exklusivrechte ab der Marktzulassung des neuen Medikaments sowie die Reduktion von Gebühren.