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Heilmittel, Diätetikum, Analysegegenstand:
Das Bier in der Pharmaziegeschichte

Bier ist hierzulande eines der beliebtesten Genussmittel und wird in erstaunlichen – und aufgrund des heutigen Alkoholgehaltes auch bedenklichen – Mengen konsumiert. Rund 100 Liter Bier trinkt jede/r Österreicher:in statistisch pro Jahr. Damit belegt Österreich im weltweiten Vergleich einen der vordersten Plätze. In früheren Jahrhunderten wurde Bier jedoch nicht nur als Genussmittel betrachtet, sondern dem Gerstensaft wurden auch kräftigende und heilsame Wirkungen zugesprochen, was im deutschsprachigen Raum zu einigen Berührungspunkten mit Pharmazie und Medizin führte. Apotheker hatten darum über die Jahrhunderte auf verschiedene Weise mit Bier zu tun und beeinflussten die Entwicklung von Brauwesen und Biertechnologie.

Zuschreibung von heilsamen Wirkungen bereits in der Antike

Bereits sehr alte sumerische Tontafeln (ca. 3000 v. Chr.) enthielten Rezepte für Heiltränke, bei denen Bier als Basis verwendet wurde, um Kräuter und andere Heilmittel zu verabreichen. Auch im Papyrus Ebers (ca. 1550 v. Chr.), der bedeutendsten Schriftrolle zur altägyptischen Heilkunde, wurde der Einsatz von Bier zu medizinischen Zwecken erwähnt. In Europa gewann das Bier im Mittelalter an Bedeutung. Im Lorscher Arzneibuch (795 n. Chr.) wurde beispielsweise angeführt, dass das Trinken von Bier äußerst bekömmlich sei. Vor allem im Hochmittelalter galt Bier als nahrhaftes Alltagsgetränk und wurde aufgrund der relativ sauberen Herstellung vielfach gegenüber dem damals zumeist unsauberen und keimbelasteten Wasser bevorzugt. Auch als stärkendes Getränk für Kranke wurde es oft empfohlen. Damals hatte Bier allerdings noch einen deutlich niedrigeren Alkoholgehalt von rund zwei Prozent.

Ab dem frühen Mittelalter waren Klöster sowohl wichtige Zentren der medizinischen Versorgung als auch der Bierherstellung. Mönche und Nonnen nutzten Bier als Basis für verschiedene Heiltränke. Berühmte Beispiele sind die Benediktiner und Zisterzienser, die bekannt für ihre Braukunst und ihre Heilpraktiken waren. Hildegard von Bingen (1098–1179), eine bedeutende Äbtissin und Gelehrte, schrieb über die medizinischen Eigenschaften von Hopfen, einem wichtigen Bestandteil des Biers, und empfahl ihn zur Behandlung verschiedener Krankheiten. Paracelsus (1493-1541) wird das Zitat „Das Bier ist eine wahrhaft göttliche Medizin“ zugeschrieben. Auch der berühmte Gelehrte setzte Bier zur Behandlung von Krankheiten ein und verwendete Bier zudem als diätetisches Mittel bei verschiedenen Erkrankungen und Beschwerden.

Medizinalbiere gegen Verstopfung, Epilepsie und Skorbut

In den Apotheken wurde Bier im Mittelalter häufig als Lösungsmittel verwendet, um Extrakte herzustellen, die dann als Arzneimittel verabreicht wurden. Zudem wurde Bier als Hilfsmittel zur Einnahme von Medikamenten eingesetzt. Manche Apotheken stellten auch selbst sogenannte Medizinalbiere her. Sie enthielten spezielle Zutaten oder Kräuter, denen heilende Eigenschaften zugeschrieben wurden. So gab es u.a. Medizinalbiere gegen Verstopfung, Epilepsie, Skorbut, Gelbsucht sowie Haut- und Wurmerkrankungen. Einige Medizinalbiere und Drogenauszüge mit Bier wurden auch in zeitgenössischen Arzneibüchern beschrieben.

Rezepte von verschiedenen Medizinalbieren in der Pharmacopoea Universalis von Philipp Lorenz Geiger und Friedrich Mohr (1845).

Gemeimmittel Gesundheitsbier

Als Geheimmittel, deren Zusammensetzung von den Herstellern streng unter Verschluss gehalten wurde, galten sogenannte Gesundheitsbiere. Sie wurden mit ihrer angeblich heilsamen Wirkung beworben und auch von einzelnen Apotheken vertrieben. Viele Apotheken lehnte diese Biere jedoch aufgrund der unbekannten Zutaten ab und verdienten sich stattdessen Lorbeeren, indem sie die Zusammensetzung dieser Geheimmittel in den apothekeneigenen Laboratorien analysierten und damit die Sicherheit der Bevölkerung erhöhten.

So veröffentlichte beispielsweise die Untersuchungsanstalt des Österreichischen Apotheker-Verein in der „Österreichische Zeitschrift für Pharmacie" am 10. Oktober 1892 u.a. folgende Untersuchungsergebnisse: „Im Einzelnen ist Folgendes zu bemerken: Ein Bier, nach dessen Genuss Erbrechen und Diarrhoe erfolgt war, erwies sich als stark hefetrüb und war daher geeignet, die Gesundheit zu schädigen. Ein Malz-Extract-Gesundheitsbier enthielt im Liter 85 mg schweflige Säure und war deshalb zu beanstanden.“ Manche Hersteller von Gesundheitsbieren verwendeten hingegen auch positiv ausgefallene Gutachten von Apothekern, um den Ruf ihres Produktes zu verbessern.

Apotheken prüfen Biere auf Verfälschungen

Das chemische Wissen und der Zugang zu Laborgerätschaften ermöglichte es Apothekern auch bis zu einem gewissen Grad, Verfälschungen in normalem Bier aufzudecken. Die Bier-Panscherei wurde vor allem während der Industrialisierung und Verstädterung zum Thema. Viele Brauer standen im Verdacht, teuren Hopfen und Malz zu sparen, indem sie ihrem Bier billigere und teils unbekömmliche Stoffe wie Alaun, Wermut, Enzianwurzel, Aloe, Kokkelskörner oder Pikrinsäure beimengten. Apotheker konnten immer wieder Verfälschungen aufdecken, in vielen Fällen ergaben ihre chemischen Analysen jedoch auch, dass die Brauer zu Unrecht verdächtigt worden waren. Die Analyse von Bieren durch Apotheken fand auch Eingang in verschiedene pharmazeutische Fachzeitschriften und trug dazu bei, den Herstellungsprozess und die Haltbarkeitsmachung von Bier sukzessive zu verbessern. Unter anderem gelang es weniger bekömmliche Biere aufgrund einer ungenügenden Vergärung zu identifizieren und den Vergärungsprozess zu optimieren.

Die apothekeneigenen Laboratorien und das chemische Wissen der Apotheker wurden häufig für Analysen von Bieren genutzt.

Während es sich als Genussmittel weiterhin großer Beliebtheit erfreute, nahm die Bedeutung von Bier als Arzneimittel oder als Hilfsmittel bei der Medikamentenherstellung im 19. Jahrhundert zunehmend ab. Hintergrund war vor allem das gestiegene Gesundheitswissen. So war inzwischen beispielsweise die Erkenntnis gereift, dass Alkoholsucht eine Krankheit darstellt und sich mit dem Konsum von Bier nicht gut verträgt. In den Jahrhunderten zuvor war Bier kurioserweise trotz des bereits nachweisbaren Alkoholgehaltes sogar eingesetzt worden, um die "Trunksucht" zu heilen. Lange Zeit war auch vermutet worden, dass Bier die Produktion von Muttermilch anregt und Stillenden wurde daher oftmals dunkles Bier (möglichst mit einem Hühnerei vermischt) empfohlen. Auch die Kehrseiten dieser Praxis erkannte man zu dieser Zeit und begann vor einer Schädigung des Säuglings durch Alkohol in der Muttermilch zu warnen. Der Umstand, dass Medizinalbiere im Vergleich zu anderen Heilmitteln nur eine sehr kurze Haltbarkeit aufwiesen, trug ebenfalls zum Verschwinden dieser Mittel bei.

Apotheker als Mitbegründer der modernen Brauwissenschaft 

Einige Apotheker machten sich auch einen Namen durch ihre wertvollen Beiträge zum modernen, wissenschaftlich basierten Brauwesen. So etablierte der Apotheker Dr. Carl Lindner (1828-1900) einen Braukurs an der Königlichen Zentralschule in Weihenstephan und gründete in München und Weihenstephan die erste wissenschaftliche Versuchsstation für Brauerei. Lindner gilt als einer der Väter der Brauwissenschaften im deutschsprachigen Raum und in Weihenstephan wird noch heute Brautechnologie unterrichtet. Im Jahr 1895 gründete mit Dr. Albert Doemens (1866-1940) ein weiterer Apotheker  die Lehr- und Versuchsanstalt für Brauer. Sie existiert noch heute als Fachschule für Braumeister und bietet Lehrgänge für Braumeister und Brautechnologie an.

Die Analysen von Bieren durch Apotheker trugen zur Qualitätsverbesserung der Brauerzeugnisse und zur Entwicklung der modernen Brautechnologie bei.

Literaturtipp: Eine umfangreiche historische Betrachtung der Rolle des Bieres in der Pharmazie findet sich im Buch „Brauer und Apotheker – eine seltsame Personalunion: Ein Beitrag zur pharmazeutischen Geschichte des Bieres“ von Sara Ruppen (2020).

Hinweis: Der Umstand, dass in diesem Artikel nur die männliche Form Apotheker" verwendet wird, liegt darin begründet, dass Frauen der Zugang zum Apothekerberuf - wie auch zu vielen anderen Berufen und Branchen - leider lange verwehrt war und daher in der für den Artikel relevanten historischen Zeitspanne davon ausgegangen werden muss, dass nur Männer den Apothekerberuf ausgeübt haben. Heute liegt der Frauenanteil im Apothekerberuf in Österreich bei rund 80 Prozent.