Wie entstehen Lieferengpässe bei Medikamenten?
Viele Lieferengpässe sind eine negative Folge der Globalisierung. Aus Kostengründen produzieren die meisten Arzneimittelhersteller nicht mehr in Europa, sondern fast nur noch in Asien (vor allem in China und Indien). Oft wird ein Wirkstoff auch nur noch an einem oder zwei Standorten weltweit produziert. Ein Produktionsausfall an diesem Standort – beispielsweise aufgrund eines nicht verfügbaren Rohstoffes oder Verpackungsbestandteils, eines „Lockdowns“ (davon war z.B. der größte Containerhafen der Welt in Shanghai monatelang betroffen) oder einer technischen Störung – kann schnell zu weltweiten Lieferschwierigkeiten führen. Dasselbe gilt für die Lagerung, die zunehmend an wenigen Standorten der Hersteller im Ausland und nicht mehr in Österreich (oder anderen EU-Ländern) erfolgt.
Sind Lieferengpässe bei Medikamenten und Medizinprodukten ein neues Problem?
Lieferengpässe treten leider seit Jahren immer wieder auf – sehr zum Ärger von Patient:innen, Kund:innen und Apotheker:innen. Sie sind auch nicht auf Österreich beschränkt, sondern ein globales Problem. Eine Rolle spielen hierzulande jedoch die vergleichsweise niedrigen Arzneimittelpreise, die den österreichischen Markt für Hersteller teilweise unattraktiv machen. Eine Folge: Andere Länder mit höherem Preisniveau wie Deutschland oder die Schweiz werden bei der Belieferung mit Arzneimitteln priorisiert.
Ist die Situation im Moment besonders schlimm?
Seit Monaten ist das Thema Medikamentenknappheit medial präsent. Zum Vergleich: Im Jahr 2020 waren zwischenzeitlich mehr als doppelt so viele Medikamente nicht lieferbar als derzeit, damals hat jedoch die Corona-Pandemie die Schlagzeilen dominiert. Nach zwei Jahren mit umfassenden Hygienemaßnahmen und wenigen Kontakten wurden im vergangenen Herbst und Winter verstärkt Erkältungen und andere Infekte „nachgeholt“ – vor allem bei Kindern. Dies führte zu einem erhöhten Bedarf an Medikamenten, die während der Corona-Zeit weniger gefragt waren (z.B. bestimmte Antibiotika) und von den Herstellern daher in geringerem Umfang kontigentiert wurden.
Welche Medikamente sind derzeit knapp?
Das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) führt eine Liste, in der aktuell nicht oder nur eingeschränkt verfügbare Medikamente erfasst werden. Die Hersteller sind zur Meldung verpflichtet. Die Zusammensetzung dieser Liste unterliegt erheblichen Schwankungen, u.a. aufgrund von saisonalen Gegebenheiten, sodass sich die darauf zu findenden Medikamente und Medikamentenklassen binnen weniger Wochen ändern können. Insgesamt sind in Österreich rund 16.800 Humanarzneispezialitäten zugelassenen oder registriert.
Haben Apotheken einen Einfluss auf die Lieferbarkeit von Medikamenten?
Nein. Apotheken sind das letzte Glied in der Kette, bevor die Bevölkerung versorgt wird. Auf die Produktion, Lagerung, Distribution und Lieferung der Medikamente haben Apotheker:innen leider keinen Einfluss. Sie werden mehrmals täglich, je nach Bedarf, vom pharmazeutischen Großhandel beliefert. Hat dieser keine Ware mehr, weil z.B. ein Hersteller nicht produzieren oder nachliefern kann, gelangt das betreffende Medikament auch nicht in die Apotheke. Im Schnitt hat eine Apotheke rund 6000 unterschiedliche Medikamente auf Lager.
Was bedeuten Lieferengpässe für Apotheken?
Für Apotheker:innen bedeuten Lieferengpässe in erster Linie einen erheblichen Mehraufwand. Rund drei Stunden pro Tag investiert jede Apotheke im Schnitt in die aufwendige Suche nach gleichwertigen Lösungen. Die Apotheker:innen geben sich viel Mühe, damit aus Lieferengpässen keine Versorgungsengpässe werden. In rund 95 Prozent der Fälle gelingt es den Apotheker:innen, vor Ort in der Apotheke eine Lösung für das Anliegen der/des Patient:in/Kund:in zu finden. In den übrigen Fällen wird gemeinsam mit dem behandelnden Arzt weiter nach einer Lösung gesucht.
Was tun Apotheker:innen, wenn ein Medikament nicht verfügbar ist?
Im Idealfall steht ein wirkstoffgleiches Medikament (Generikum) zur Verfügung, auf das man ausweichen kann. Eine weitere Möglichkeit ist, das Arzneimittel in einer anderen Apotheke oder im Ausland zu beschaffen. Sehr aufwendig und mitunter nicht einmal kostendeckend ist die magistrale Zubereitung im apothekeneigenen Labor. Letztes ist aber nicht für alle Arzneimittel möglich.
Wie lassen sich Lieferengpässe langfristig vermeiden?
Die Apothekerkammer spricht sich klar dafür aus, wieder verstärkt Arzneimittel und Medizinprodukte in Europa herzustellen, um die Abhängigkeiten in der Arzneimittelproduktion vom asiatischen Raum zu minimieren und die Produktion flexibler auf den Bedarf hierzulande anpassen zu können – gerade bei so wichtigen Medikamenten wie Antibiotika. Hier sollte auf europäischer Ebene eine Lösung gefunden werden, da dieses Problem alle EU-Länder gleichermaßen betrifft. Um hierzulande kurzfristig die schlimmsten Engpässe abfedern zu können, fordert die Apothekerkammer zudem das Anlegen von nationalen Rohstofflagern, damit Apotheker:innen bei Bedarf bestimmte Arzneimittel, die als Fertigarzneimittel nicht lieferbar sind (z.B. Antibiotika-Säfte für Kinder), in den apothekeneigenen Labors herstellen können.